Sebastian Stöhrer

Keramik ist eine der ältesten Kulturtechniken des Menschen, deren erste Zeugnisse bis zu frühzeitlichen, semi-sesshaften Jägerkulturen im Gebiet des oberen Nil zurückreichen. Seine Bezeichnung stammt aus dem Altgriechischen „keramos“, was sowohl Ton in seiner Materialität bedeutet, als auch die aus ihm durch Brennen hergestellten Erzeugnisse bezeichnet. Seit jeher bietet Keramik Anreize zur künstlerischen Kreativität. Vor allem die Glasur, also die Veredelung der Oberfläche, bietet weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten und gilt als große Herausforderung: „Das Glasieren ist eher ein Laborantenjob, jedoch nicht ohne Kreativität“, sagt der Künstler Sebastian Stöhrer (*1968 in Freiburg), bei dem bereits seit etwa zehn Jahren die Keramik im Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens steht. Einen Eindruck hiervon bietet die Ausstellung Spat und Spreißel in der Overbeck-Gesellschaft und der St. Petri-Kirche in Lübeck.
 
Beim Glasieren geht es „um minuziöses Messen, Skalieren, Mischen, Testen und das Niederschreiben von Rezepten“, so Stöhrer. „Ein neuer Kosmos öffnet sich. Die Kombination von ca. dreißig verschiedenen Materialien und Mineralien ermöglichen eine schier endlose Farbpalette. Hat man die Möglichkeit in rauchiger, reduzierender Atmosphäre zu brennen, multiplizieren sich die Möglichkeiten ins Unendliche.“ So werden im Umgang mit Keramik zwei Arbeitsschritte miteinander verbunden: zum einen das Modellieren des Ton-Materials als Form der Bildhauerei, zum anderen das Glasieren als Variante der Malerei. Von den daraus resultierenden künstlerischen Möglichkeiten zeugen Stöhrers Arbeiten.
 
In der Overbeck-Gesellschaft betritt man einen mit Keramiken sehr minimalistisch bestückten ersten Raum. Vor dem Hintergrund einer großen Wandzeichnung aus Weidenzweigen verdichtet eine Sockellandschaft mit zwölf Skulpturen den mittleren Raum zu einem künstlerisch vielschichtigen Statement, das im letzten Raum wieder zu einer reduzierten Präsentation führt. Von der Wand ausgehend durchziehen Weiden einzelne Sockel, führen zur Decke und scheinen das Erdreich des Pavillons zu durchdringen und unterirdisch bis in die Petri-Kirche zu führen. Als skulpturales und räumliches Bindeglied zwischen beiden Ausstellungsorte bekommen die Weiden so eine erzählerische Komponente. Im Titel der Ausstellung Spat und Spreißel ist die Verbindung von Keramik und Weidenästen hervorgehoben: „Spat“ verweist auf die verschiedenen Mineralien, die zur Herstellung der Glasuren verwendet werden, während „Spreißel“ im süddeutschen Sprachbereich Holzsplitter meint.
 
In der Petri-Kirche wird man gemäß ihren räumlichen Achsen zu verschiedenen Skulpturengruppen geführt, die durch eine Architektur aus Kalksandstein miteinander verbunden sind. Die Standorte der Keramiken sind dann emporsteigende Sockel, die an tempelartige Strukturen in archäologischen Ausgrabungsstätten oder maschinenartige Gebilde erinnern. Diese Verbindung aus historischen und futuristisch anmutenden Bezügen prägen auch die Gestalt der einzelnen Keramiken von Sebastian Stöhrer, die zunächst amorph erscheinen mögen, dann aber eindeutig organische Formen vermitteln – nicht selten mit humoristischem Hintergrund. Im Altarraum leicht erhöht, findet sich eine Gruppe glockenähnlicher, purpurroter Skulpturen, die durch Weidenäste miteinander verbunden sind.

Laufzeiten:
Overbeck-Gesellschaft: 13. Februar – 10. April 2022
St. Petri zu Lübeck: 13. Februar – 20. März 2022