Caroline Kryzecki
Struggle for Pleasure
Im Oktober 2024 präsentiert die Overbeck-Gesellschaft die Einzelausstellung Struggle for Pleasure von Caroline Kryzecki(*1979 in Wickede/Ruhr, lebt in Berlin). Die Ausstellung gibt einen Überblick über die künstlerische Entwicklung der letzten zehn Jahre. Kryzecki verfolgt in ihrem Werk einen konsequent minimalistischen Ansatz. Neben den Kugelschreiberzeichnungen der Serie KSZ, mit denen Kryzecki bekannt wurde, werden unter anderem Gouache- und Aquarellmalereien der Serie BETHANY/BERLIN (BB) gezeigt.
Die Kugelschreiberzeichnungen mit horizontalen und vertikalen Linien haben oft eine textile Anmutung. Bei den Gouache-Malereien setzt die Künstlerin Tausende von Pinselabdrucken in Rasterfelder, wodurch abstrakte Strukturen entstehen. Die Linie ist für sie das einfachste Mittel der Zeichnung, der Pinselabdruck das einfachste Mittel der Malerei. Ganz nach dem Leitsatz von Gottfried Wilhelm Leibniz, demzufolge unsere Welt an Prinzipien einfach und an Vielfalt der Erscheinungen reich sei.
Bei den Kugelschreiberzeichnungen werden mit dem Lineal gezogene Linienraster zu Moiré-Strukturen verwoben. Fast ein Jahrzehnt lang hat Kryzecki alle Möglichkeiten durchgespielt, von extrem reduzierten, monochromen Arbeiten mit nur wenigen übereinander gelegten Rastern bis hin zu Zeichnungen, die fast an Malerei erinnern. Bewusst lässt sie eine Fehlfunktion, die bei digitalen Druckverfahren auftritt, als Methode der analogen Bildproduktion zu. Mit ihren teils monumentalen Arbeiten von bis zu 270 × 190 cm Größe lotet die Künstlerin Grenzen aus, körperliche, psychische und die des Materials. Dabei steht für Kryzecki stets der Arbeitsprozess im Vordergrund. Die Ideen werden im Prozess geboren und in gewisser Hinsicht entstehen die Arbeiten aus sich selbst heraus. Kryzecki setzt sich Regeln, begibt sich in Strukturen und findet darin Freiheit.
Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Serie B2 (2016 bis 2018), eine Abfolge von zwölf Zeichnungen mit schwarzen Kugelschreiberlinien. Bevor der Zeichenprozess beginnt, ermöglicht ihr eine eigens konzipierte Codesprache, bestimmte Parameter für ein Bild festzulegen. Das Grundmotiv sind zwei identische Raster, die minimal gegeneinander verdreht sind. Das erste Blatt beginnt mit einem Linienabstand von 13 Millimetern. Mit jeder weiteren Zeichnung verengt sich das Raster um einen Millimeter und endet schließlich bei zwei Millimetern, so dass im Verlauf der Serie eine Verdichtung von Hell- zu Dunkelgrau wahrnehmbar wird.
Seit Jahren beschäftigt sich Kryzecki mit dem Weben. Das Weben ist für die Künstlerin interessant, weil auch die Technik des Webens auf der Basis von Rastern funktioniert. Zwei Fadensysteme werden im rechten Winkel gekreuzt. Aber nicht nur strukturell, sondern auch phänomenologisch gibt es Analogien, denn manche Kugelschreiberzeichnungen wirken wie digital entworfen. Das Weben wird auch als frühes digitales Medium bezeichnet. Durch die Verflechtung von Kett- und Schussfäden arbeitet man beim Weben letztlich mit Farbpunkten, die erst in ihrer Gesamtheit ein Bild ergeben. Heute sprächen wir von Pixeln. Und tatsächlich wurden Jacquard-Webstühle bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts von digitalen Datenträgern gesteuert – den Lochkarten.
Bei einem Besuch in einer Weberei stieß Caroline Kryzecki 2018 auf Patronenpapier. Dieses Rasterpapier diente Stoffgestaltern zum Entwurf von Textilien. 2019 nahm Kryzecki das Papier mit nach Bethany, Connecticut, wo sie ein Stipendium der Josef und Anni Albers Foundation erhielt. Zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt griff sie dort wieder zum Pinsel. Dabei nutzte sie das einfachste Mittel der Malerei, den Pinselabdruck. In Bethany entstand eine Serie von 18 Arbeiten auf historischem Patronenpapier, die in dieser Ausstellung erstmals gezeigt wird. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin ließ die Künstlerin ihr eigenes Patronenpapier siebdrucken. In die Rasterfelder des Papiers malt Kryzecki Tausende von Pinselabdrucken aus Gouache und/oder Aquarell. Durch die Veränderung von Größe und Ausrichtung des Abdrucks und damit des verbleibenden Weißraums sowie durch die Modulation von Farbtönen, Opazität und Transparenz kann Kryzecki die Arbeiten variieren. Durch diese Variationen ergeben sich nahezu unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten.
In der Ausstellung der Overbeck-Gesellschaft gibt Kryzecki zudem erstmals Einblick in ihr Gestaltungsprinzip und zeigt die Konstruktionszeichnungen, die den Kugelschreiberzeichnungen zugrunde liegen. Sie erinnern an eine Programmiersprache, nach der vordefinierte Abläufe in Gang gesetzt werden. Damit wird auch deutlich, dass Caroline Kryzecki nicht in fertigen Bildern denkt, sondern in deren Konstruktion. Die Arbeiten sind mit rein technischen Titeln versehen, die in verschlüsselter Form bereits eine formale Bildbeschreibung enthalten. Die Künstlerin hinterfragt damit geschickt die Erwartungen an die Rezeption von Bildern. Da ihre Titel keine Interpretationsräume eröffnen, ist der Betrachter aufgefordert, sich selbst in ihre Bilder zu vertiefen. Der Blick bleibt an optischen Irritationen hängen. Parallelen zu den optischen Experimenten der Kinetischen Kunst und der Op-Art deuten sich an. Kryzecki geht es jedoch weniger um das Affektive einer optischen Täuschung oder das Evozieren von Bewegung, sondern um die Bildproduktion innerhalb eines bestimmen, selbst gesetzten Regelsystems. Ihre Arbeiten sind als ein rhizomatisches Netzwerk autonomer Werke zu begreifen, die mit hohem Wiedererkennungswert die konstruktivistische Kunsttradition in die Gegenwart überführen.