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Mandy El-Sayegh

Enfleshing

11 Februar - 16 April 2023 - Overbeck-Pavillon und St. Petri zu Lübeck

Die Overbeck-Gesellschaft präsentiert in Kooperation mit St. Petri zu Lübeck die erste Einzelausstellung in Deutschland von Mandy El-Sayegh. An beiden Orten werden in dieser umfangreichen Schau neue, speziell für diese beiden Orte geschaffenen Werke gezeigt, darunter großformatige Gemälde und Installationen, Bewegtbilder sowie Tonarbeiten. 

Enfleshing bedeutet, einer Sache eine körperliche Form zu geben. Im Rahmen einer Ausstellung innerhalb einer Kirche suggeriert diese Titelwahl die religiöse Konnotation des Fleisch gewordenen Geistes. Der Titel ist auch eine bewusste Referenz und Hommage El-Sayeghs an die verstorbene britische Künstlerin Helen Chadwick. Deren Werkserie mit dem Titel Enfleshings(1989) zeigt Nahaufnahmen menschlicher Oberkörper mit  elektrischem Licht, verweist auf Gender/Körper-Themen und erzählt davon, wie Philosophie und Theologie mit der körperlichen Welt zusammenhängen.

In El-Sayeghs Praktik bezieht sich Enfleshing auch auf eine große, langjährige Recherche, die ihre Arbeit in ihrer Vielfalt an Formen und Medien durchdringt – die des Körpers in seinen zahlreichen Facetten: in der Gesellschaft, in der Wissenschaft, in der Erotik, als Metapher, als Pathologie, als widerspenstiges Objekt. El-Sayegh ist zutiefst fasziniert von dem Status und der Autorität, die verschiedenen Körpern verliehen werden. Ebenso betrachtet sie ihre einzelnen Kunstwerke als Körper, die jeweils aus disparaten Fragmenten bestehen, wobei ihre Aufgabe darin liegt, diese immer unvollkommenen Fragmente zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufügen.

Große Gemälde aus Latex, Seide und Musselin, die von den Säulen herabhängen und sich über den Boden ausbreiten, bilden in der Petri-Kirche einen fleischähnlichen „Tunnel“, den die Besucher betreten. Begleitet werden sie dabei von einer Klangcollage, die die Künstlerin in Zusammenarbeit mit der Komponistin Lily Oakes geschaffen hat. Dieses Umhüllen von Material wird von El-Sayegh als „Reskinning“ beschrieben, eine Geste, die darauf abzielt, die Kirche leer und neutral erscheinen zu lassen und die symbolischen und historischen Konnotationen, mit denen ein solcher Raum aufgeladen ist, zu löschen. Doch diese Neutralität ist fiktiv: Die Gemälde, Teil von El-Sayeghs langjähriger White Grounds-Serie, sind bei näherer Betrachtung gar nicht weiß, sondern pastos durch verschiedene Farbtöne überlagert, collagiert mit Materialfragmenten aus dem Atelier der Künstlerin, wie Verpackungsresten, Zeitungen, Putzlappen und künstlichen Banknoten. Der Titel White Grounds ist für die Künstlerin eine Anspielung auf den vermeintlichen „Nullpunkt“, von dem aus Malerei und alle Dinge beginnen. El-Sayegh ist daran interessiert, den Begriff der Neutralität in der Kunst und in der Gesellschaft insgesamt zu hinterfragen, indem sie uns auffordert, darüber nachzudenken, ob wir uns alle auf demselben „Boden“ befinden und wer oder was als „neutral“ angesehen wird.

Die Verwendung von Latex, die El-Sayegh in ihrer Arbeit über viele Jahre hinweg entwickelt hat, birgt ebenfalls eine komplexe Symbolik. Sie fühlt sich zu diesem Material aufgrund seiner eigentümlichen Eigenschaften hingezogen – es ist organisch, wirkt aber oft synthetisch; es bewahrt die Materie, während es selbst immer im Verfall begriffen ist. Als Rohstoff hat Latex auch eine komplexe, nicht selten eine durch Leid gekennzeichnete Geschichte, denn die kolonialen Kautschukplantagen in Afrika, Asien und Südamerika waren Schauplätze von Ausbeutung und Gewalt. Diese Herkunft überschneidet sich mit der persönlichen Geschichte der Künstlerin – ihre Mutter wuchs in Malaysia auf, einem der wichtigsten zeitgenössischen Produzenten von Naturkautschuk, und arbeitete als Kind auf einer Kautschukplantage. 

Im hinteren Teil der Kirche, vor dem Altar, hängt ein weiteres White Grounds-Gemälde, auf das eine neue Videoarbeit von El-Sayegh projiziert wird. Sie zeigt Nahaufnahmen von Körpern – Archivbildmaterial von Haut, die durch Nuklearexplosionen verletzt wurde –, die sich mit El-Sayeghs Aufnahmen von sich bewegenden Oberkörpern überschneiden: ihrem eigenen und denen der Performer, mit denen sie zusammenarbeitet. Ähnlich wie die White Grounds-Arbeiten malt die Künstlerin die Körper mit ihren Händen mit weißer Farbe an. Die projizierten Torsi überschneiden sich mit Themen, die an anderer Stelle in der Ausstellung ergründet werden, wie die kirchliche Umgebung sowie die Tradition und Formalität der Historienmalerei, die El-Sayegh variiert und zu stören versucht. Zur Eröffnung der Ausstellung wird diese Projektionsarbeit Schauplatz einer Performance sein, bei der El-Sayeghs Kolleginnen Chandenie Gobardhan und Chelsea Gordon das Werk durch Live-Bewegungen aktivieren werden.

In der Overbeck-Gesellschaft wird die Serie der White Grounds-Gemälde fortgesetzt, die hier formaler präsentiert werden als in der Petri-Kirche, indem sie nicht drapiert, auf Rahmen gespannt sind, wodurch sich eine Auseinandersetzung mit Formalismen in der Malerei fortsetzt. Erneut hat El-Sayegh den Boden des Raumes einbezogen und eine mehrschichtige Installation aus Seiten der Financial Times geschaffen, einer Zeitung, die zu einem erkennbaren Motiv in vielen ihrer Werke geworden ist, sowohl aufgrund ihres Status’ als internationale Autorität für Wirtschaft und Finanzen als auch wegen des fleischfarbenen Tons ihrer Seiten. Auch hier wird Latex auf dem Boden verwendet, um die Zeitungsseiten zusammen mit Siebdruck-Fragmenten von Drucken, Kalligrafien sowie anderen von der Künstlerin gesammelten Archivmaterialien zu „versiegeln“.

Im Pavillon sind auch Projektionen, wie jene in der Petrikirche zu sehen, sowie ein Vitrinentisch aus Stahl. Als Teil einer Serie, die El-Sayegh seit vielen Jahren fortführt, ähneln die Tischarbeiten Autopsietischen. Sie enthalten Assemblagen von Objekten aus dem Archiv der Künstlerin, die sie auf Flohmärkten, in Buchhandlungen und auf Reisen gefunden hat, oder die aus dem persönlichen Besitz von El-Sayegh und ihren Freunden stammen, und sind ähnlich komponiert wie ihre Gemälde. Die Objektgruppen in den Tischen haben eine rohe Körperlichkeit. Mit ihrer Hilfe verdeutlicht El-Sayegh die in den Gemälden enthaltenen Geschichten – in Bezug auf die Objekte selbst und auf deren Zusammenstellung, aber auch symbolisch in Bezug auf die ererbten und ausgelöschten Geschichten, mit denen sich ihre forschungsbasierte Arbeit beschäftigt. 

Des weiteren sind Reproduktionen aus medizinischen Lehrbüchern zu sehen, in denen Krankheiten und Spuren gezeigt werden, die sie auf dem Körper hinterlassen. Sie bilden weitere der zahlreich impliziten Verweise auf religiöse Bilder in der Ausstellung, die Darstellungen von Stigmata oder Reliquien heraufbeschwören. Diese Bilder werden mit Reproduktionen aus alten Auktionskatalogen kombiniert, die Gemälde von Verkäufen moderner und zeitgenössischer Kunst zeigen. Durch die Kombination der Formalität kanonischer Kunstwerke mit dem fragmentierten Körper in Zuständen der Erniedrigung fassen diese Arbeiten die thematischen Stränge zusammen, die die Ausstellung Enfleshing durchziehen.

 

Mandy El-Sayegh wurde 1986 in Selangor, Malaysia, geboren. Sie lebt und arbeitet in London, wo sie 2007 einen BA in Bildender Kunst an der University of Westminster und 2009 einen MA in Malerei am Royal College of Art erhielt. Ihre Arbeiten wurden unter anderem in der British Art Show, im Centre Pompidou, Paris, auf der Biennale Prag, im UTA Artist Space, Los Angeles, auf der Busan Biennale, im SculptureCenter, Long Island City, in der Chisenhale Gallery, London, im The Mistake Room, Guadalajara, im Instituto de Visión, Bogotá, im Sifang Art Museum, Nanjing und im MoMA PS1 gezeigt.

 

mit freundlicher Unterstützung: Thaddaeus Ropac

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DEU, Luebeck, 2023, "Enfleshing" - Exhibition by Mandy El-Sayegh at Overbeck Gesellschaft, Copyright photo: Fred Dott
Mandy El-Sayegh, Enfleshing, Ausstellungsansicht 2023 Overbeck-Gesellschaft, Courtesy die Künstlerin, Thaddeus Ropac, Foto Fred Dott.
DEU, Luebeck, 2023, "Enfleshing" - Exhibition by Mandy El-Sayegh at Overbeck Gesellschaft, Copyright photo: Fred Dott
Mandy El-Sayegh, Enfleshing, Ausstellungsansicht 2023 Overbeck-Gesellschaft, Courtesy die Künstlerin, Thaddeus Ropac, Foto Fred Dott.
DEU, Luebeck, 2023, "Enfleshing" - Exhibition by Mandy El-Sayegh at Overbeck Gesellschaft, Copyright photo: Fred Dott
Mandy El-Sayegh, Enfleshing, Ausstellungsansicht 2023 Overbeck-Gesellschaft, Courtesy die Künstlerin, Thaddeus Ropac, Foto Fred Dott.
DEU, Luebeck, 2023, "Enfleshing" - Exhibition by Mandy El-Sayegh at Overbeck Gesellschaft, Copyright photo: Fred Dott
Mandy El-Sayegh, Enfleshing, Ausstellungsansicht 2023 Overbeck-Gesellschaft, Courtesy die Künstlerin, Thaddeus Ropac, Foto Fred Dott.
DEU, Luebeck, 2023, "Enfleshing" - Exhibition by Mandy El-Sayegh at Overbeck Gesellschaft, Copyright photo: Fred Dott
Mandy El-Sayegh, Enfleshing, Ausstellungsansicht 2023 Overbeck-Gesellschaft, Courtesy die Künstlerin, Thaddeus Ropac, Foto Fred Dott.
DEU, Luebeck, 2023, "Enfleshing" - Exhibition by Mandy El-Sayegh at Church Sankt Petri, Copyright photo: Fred Dott
Mandy El-Sayegh, Enfleshing, Ausstellungsansicht 2023 St. Petri zu Lübeck, Courtesy die Künstlerin, Thaddeus Ropac, Foto Fred Dott.
DEU, Luebeck, 2023, "Enfleshing" - Exhibition by Mandy El-Sayegh at Church Sankt Petri, Copyright photo: Fred Dott
Mandy El-Sayegh, Enfleshing, Ausstellungsansicht 2023 St. Petri zu Lübeck, Courtesy die Künstlerin, Thaddeus Ropac, Foto Fred Dott.
DEU, Luebeck, 2023, "Enfleshing" - Exhibition by Mandy El-Sayegh at Church Sankt Petri, Copyright photo: Fred Dott
Mandy El-Sayegh, Enfleshing, Ausstellungsansicht 2023 St. Petri zu Lübeck, Courtesy die Künstlerin, Thaddeus Ropac, Foto Fred Dott.